Leitungen ziehen, Spannung prüfen und Kabelschächte fräsen: Anna-Lena Hochuli macht ihre Ausbildung zur Elektronikerin. Online berichtet die 21-jährige Freiburgerin über ihre Erfahrungen. Als elektrikerin_2020 postet sie Baustellencontent und teilt Einblicke in das Handwerksleben als Frau. Sie ist aktuell im dritten Lehrjahr zur Elektronikerin für Energie- und Gebäudetechnik.
Anna-Lena, du schreibst auf Instagram über dein Handwerkerleben als Frau. Inzwischen folgen dir über 41.000 Menschen, du hältst Vorträge auf Berufsmessen und sprichst auf Veranstaltungen der Handwerkskammer oder der Agentur für Arbeit – hättest Du mit diesem Erfolg gerechnet?
Anna-Lena: Nie im Leben. Angefangen habe ich mehr aus Spaß. Ich dachte: Meine Generation teilt ja alles im Internet, dann kann ich doch auch mal über meine Erfahrungen schreiben. Ich war stolz, als mir plötzlich 100 fremde Menschen folgten. Dann ging es durch die Decke.
Sieht man daran, wie wichtig das Thema Frauen und Handwerk ist?
Anna-Lena: Absolut. Die Hürden sind noch immer ziemlich hoch für Frauen und Mädchen, sich für einen Handwerksberuf zu entscheiden. Die Gründe, warum sich Mädels handwerkliche Tätigkeiten oder Berufe nicht zutrauen, haben oft weniger mit Können, sondern mit vielfältigen Klischees zu tun.
Dagegen gehst Du mit deinem Instagram-Kanal an?
Anna-Lena: Ich will zeigen, dass das Handwerk an sich cool ist – und keine Männerwelt. Mit meinen Erfahrungen möchte ich andere Frauen inspirieren, ins Handwerk zu gehen. Denn bevor ich selbst als Elektronikern anfing, hatte ich starke Zweifel: Ist das was für mich? Ich wollte alles Mögliche wissen. Wie sieht die Ausbildung aus? Wie ist es, als Frau in diesen Beruf zu gehen? Das konnte ich mir alles nicht vorstellen.
Wo hast Du deine Infos herbekommen?
Anna-Lena: Eben genau das war mein Problem. Damals habe ich sehr viel in Social Media nach Leuten geschaut, die Dinge aus ihrem Alltag als Elektriker teilen. Einige habe ich auch gefunden, aber keiner von denen hat etwas vermittelt, was mir damals etwas gebracht hätte. Ich dachte: Dann bin ich jetzt einfach selbst die Person, nach der ich damals gesucht hatte, diejenige, die mit ihren Erlebnissen und Infos andere ermutigt, das auch zu tun.
Und das klappt?
Anna-Lena: Ich habe offensichtlich ins Schwarze getroffen. Schon nach kurzer Zeit haben mich immer mehr junge Frauen angeschrieben, die selbst darüber nachdachten, eine Ausbildung anzufangen und meinen Rat dazu hören wollten. Und nehme denen die Angst oder beantworte die Fragen, die mir selbst keiner beantworten konnte.
Klingt fast wie eine Berufsberatung?
Anna-Lena: Ein bisschen schon. Ich habe jetzt schon so viele Mädels erreicht, denen ich alle möglichen Fragen beantwortet habe. Da fragt man sich natürlich schon, ob es das anderswo nicht gibt. Aber ich freue mich richtig darüber, dass ich was bewegen kann. Einige haben inzwischen die Ausbildung angefangen. Und nächste Woche kommt ein Instagram-Kontakt zu uns in den Betrieb, um ein Praktikum zu machen.
Du bist jetzt im zweiten Lehrjahr. Wie bist du auf den Beruf gekommen?
Anna-Lena: Ich bin da reingerutscht. Mein jetziger Chef ist ein guter Bekannter meiner Eltern. Wir trafen uns zufällig auf dem Dorffest. Ich hatte ein paar Aperol getrunken und dann kam die typische Frage, was machst du nach der Schule? Ich hatte gerade mein Fachabi und wollte eigentlich Kunst studieren oder zur Polizei. Er fragte mich, ob ich ein Praktikum machen will.
Und Deine erste Reaktion?
Anna-Lena: War ganz klar: Ich und Handwerk? Das passt nicht! Ich hatte noch nie einen Akkuschrauber in der Hand gehalten. Und in Mathe und Physik war ich auch nicht gerade gut. Also gut, dachte ich: Drei Tage Praktikum, wird lustig, ich lerne was dazu und kann im schlimmsten Fall danach immerhin selber die Glühbirne wechseln. Danach war ich noch verunsicherter als zuvor.
Was ist passiert?
Anna-Lena: Ich merkte: Geil, da hätte ich Bock drauf.
Dann hast du zugesagt?
Anna-Lena: Nein, ich schob gleich noch ein Praktikum hinterher, weil ich wirklich sicher sein wollte. Danach war klar: Ich mach‘ das.
Hast du es bereut?
Anna-Lena: Nö. Absolut nicht.
Das Handwerk ist mega geil. Es muss bekannter werden, dass diese Berufe keine Männerberufe sind.
Wirst Du als Frau im Betrieb und auf der Baustelle ernst genommen?
Anna-Lena: Ich habe super viel Glück. Ich habe einen coolen Chef und ein tolles Team. Ich hatte bis jetzt auch eine mega Berufsschulklasse und meist gute Leute auf der Baustelle. Ich weiß aber, dass es ganz viele Mädels gibt, die von ihrer Klasse dumme Sprüche zu hören bekommen: Was willst du hier? Du gehörst in die Küche, geh putzen.
Ist es schwieriger ist als junge Frau, respektiert zu werden?
Anna-Lena: Ja. Eindeutig. Das muss man sich erarbeiten. Ich empfinde die Menschen heutzutage grundsätzlich als offener. Aber normal ist es noch lange nicht und längst nicht alle akzeptieren es.
Frauen sind im Handwerk immer noch unterrepräsentiert?
Anna-Lena: Ja, absolut. Es arbeiten halt hauptsächlich Männer in der Branche. Die zwei Probleme, die das Handwerk hat, sind: Zu wenig Frauen und zu viele Vorurteile. Frauen gehören ins Handwerk, genauso wie Männer. Und das Handwerk ist mega geil. Es muss bekannter werden, dass diese Berufe keine Männerberufe sind.
Wo wirst du mit Klischees konfrontiert?
Anna-Lena: Vor allem draußen, auf der Baustelle: Ein Kunde, der mir nicht zutraut, ein schweres Gewicht zu tragen. Oder Altgesellen von anderen Gewerken, die mich erstmal nicht ernst nehmen. Da muss ich vom ersten Moment überzeugen: Mein Chef ist zwar nicht da, aber ich stehe hier für die Firma. Durch die Ausbildung habe ich ein enormes Selbstbewusstsein bekommen. Ich habe gelernt den Mund aufzumachen, mich durchzusetzen.
Und im Netz?
Anna-Lena: Da ist der Ton rauer. Manche Kommentare sind verletzend oder sexistisch. Mich trifft das nicht so sehr. Ich weiß, was ich kann, und lasse mich nicht verunsichern. Was mich ärgert: Solche Sprüche bekommen auch andere Mädels zu hören, die dadurch vielleicht verletzt werden. Oder im schlimmsten Fall deswegen keine Ausbildung beginnen – oder sogar beenden!
Was machst Du dann?
Anna-Lena: Ich spreche die Leute manchmal persönlich an: Was soll das? Weißt Du, was Deine Aussagen bewirken. Meistens ziehen die dann zurück, das sei doch nicht so gemeint. Sie sollen es einfach lassen, wenn sie nichts zu sagen haben.
Inzwischen bist du neben Deiner Ausbildung selbstständig als Influencerin – wie bekommst Du das mit der Arbeit auf dem Bau unter einen Hut?
Anna-Lena: Das klappt richtig gut. Mein Chef hat mich dazu ermutigt und meine Kollegen unterstützen mich dabei. Inzwischen habe ich ein kleines Unternehmen anmelden müssen, weil ich Einnahmen über Instagram habe. Ich bin also seit fast einem Jahr selbstständig. Das war zwar nicht gewollt, aber mir gefällt diese Verantwortung: Ich führe Gespräche mit Firmen, ich muss mich mit Steuerberatern auseinandersetzen.
Einerseits Ausbildung, andererseits voll in der Selbstständigkeit?
Anna-Lena: Ich merke, dass es mir super viel Spaß macht und dass ich es kann. Ich werde das in irgendeiner Form mit Sicherheit auch später mit dem Handwerk verbinden umsetzen.
Dein Tipp an Frauen, die ins Handwerk wollen?
Anna-Lena: Keine Angst haben. Und ein Praktikum machen. Wenn der Betrieb oder die Kollegen blöd sind: Such Dir einen anderen! Das Handwerk bietet so viele Möglichkeiten.
Willst Du nach der Ausbildung weiter machen im Beruf?
Anna-Lena: Ganz sicher bleibe ich in der Branche. Es macht mir super viel Spaß und die Elektrobranche ist auch zukunftstechnisch natürlich ein mega Vorteil: Denke nur mal an Smart Homes oder Wallboxen – die ganzen Zukunftstechnologien brauchen Handwerker:innen.
Ist es körperlich sehr anstrengend?
Anna-Lena: Klar musst du dich bewegen. Ich habe abends kein Bedürfnis mehr nach Fitness. Das ist gut. Aber kaputtarbeiten? Das ist nicht mehr so wie früher. Wir haben gute Geräte, die super funktionieren. Auf Arbeitssicherheit wird richtig viel Wert gelegt: Atemmasken, Schutzbrille, Gehörschutz. Ergonomische Schraubenzieher. Die Ausrüstung wird immer besser.
Was magst Du an der Baustelle?
Anna-Lena: Es ist manchmal wie ein großer Spielplatz: Schlitzen, Fräsen, Bohren. Es staubt und es ist laut. Ich mag das: Ich kann mich tagsüber dreckig machen und rumrennen, wie ich will. Aber privat bin ich halt trotzdem noch genauso wie früher. Ich mache mich schick und gehe abends weg. Was das angeht, hat mich die Arbeit nicht verändert. Im Gegenteil, ich mach's viel lieber, weil ich jetzt beide Welten habe.
Anna-Lena Hochuli postet als @elektrikerin_2020 auf Instagram