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Verschiedene Holzschnitte ausgebreitet auf einem Tisch- Beitragsbild von Lexware Tell Your Story

Das Handwerk für Frauen zurechtzimmern

Johanna Röh ist Tischlermeisterin aus Niedersachen. Sie setzt sich dafür ein, das Handwerk auch für Frauen attraktiver zu machen.

Für mehr Frauen im Handwerk braucht es ihrer Ansicht nach gemischte Teams, weniger Vorurteile und eine bessere Fehlerkultur. Und bessere Bedingungen für selbstständige Mütter: Im vergangenen Jahr wurde sie schwanger und hat mit ihrer erfolgreichen Bundestagspetition mit über 111.000 Unterschriften dazu beigetragen, dass das Thema Mutterschutz bei selbstständigen Frauen oben auf die politische Agenda kommt. Denn noch immer gibt es viele Selbstständige, die hochschwanger arbeiten, weil sie sich keine Auszeit erlauben können. Wie wir das Handwerk für Frauen attraktiver machen, hat sie uns im Interview verraten.

Zu hart, zu frauenfeindlich, nur was für "hartgesottene Kerle" und "echte Männer", Johanna, was ist dein "Lieblingsklischee" im Handwerk?

Johanna: Das erste Vorurteil, welches ich immer wieder höre, ist „Muss man im Handwerk nicht schwer heben?“ Selbstverständlich müssen wir manchmal kräftig anpacken. Aber im Regelfall trifft dies nicht zu. Sollte es mal jemandem von uns zu schwer werden, ist eine Kultur wichtig, bei der es völlig selbstverständlich ist, um Hilfe zu bitten. Egal um wen es sich handelt: den 50-jährigen Altgesellen mit dem zweiten Bandscheibenvorfall, die Praktikantin, die noch die richtige Technik und Kraft entwickelt oder für mich, die einfach nicht einsieht, ihren Körper kaputt zu machen.

Doch nicht nur Frauen müssen mit Vorurteilen im Handwerk kämpfen. Es bestehen auch die stereotypischen Rollenbilder der „hartgesottenen und echten Männer“. Das sind im Übrigen jene Männer, die mit großer Liebe zum Detail unsere Inneneinrichtung gestalten und in bester Perfektion ausführen. Die „echten Männer“ sind diejenigen, die sich einen riesigen Kopf darum machen, dass die Qualität des Materials stimmt, die Arbeit korrekt ausgeführt wird und alle Haarfugen genau 2mm aufweisen.

Johanna Röh
Wir brauchen gemischte Teams, eine bessere Fehlerkultur und weniger Druck auf der Baustelle.
Johanna Röh

Wie kann im Handwerk ein attraktives Umfeld für alle Menschen geschaffen werden – egal welchen Geschlechts?

Johanna: Wichtig ist ein respektvoller Umgang. Den muss das Handwerk in manchen Teilen noch lernen. Die Hierarchien sind noch sehr ausgeprägt. Menschen im Praktikum oder in der Ausbildung, werden oftmals von oben herab behandelt – nur weil sie die meisten Tätigkeiten noch lernen müssen. Daran sind wir Chef*innen nicht ganz unschuldig. Denn wir leben den gleichberichtigten Umgang nicht gut vor und ermöglichen nicht ausreichend Spielraum für ein faires Miteinander.

Wir brauchen zudem gemischte Teams, eine bessere Fehlerkultur und weniger Druck auf der Baustelle. Das bedeutet, dass unsere Arbeit teurer wird – aber wieder Spaß macht und uns nicht verschleißt. Außerdem gehören sexualisierte Bilder, wie Nacktkalender beseitigt. Genauso muss Catcalling verboten werden. Auf vielen Baustellen kann sich eine weibliche Fachkraft nicht bewegen, ohne durchweg angestarrt zu werden. Unsere Präsenz muss sich endlich normalisieren.  

Studien1 belegen: Frauen im Handwerk sind glücklicher. Was macht Dich in Deinem Job und als Selbstständige glücklich? Warum kannst Du den Job ausgerechnet Frauen dringend empfehlen? 

Johanna: Ich gehöre erst zu diesen glücklichen Frauen, seitdem ich meine eigene Chefin bin, das Betriebsklima in der Werkstatt lenken und Alles selbst entscheiden kann. Ich habe die maximale Freiheit und einen abwechslungsreichen Arbeitsalltag. Ich gestalte die Entwürfe zusammen mit meinen Kund*innen, plane alle Details und setze die Ideen praktisch um: vom Wuppen der schweren Bohlen über Maschinen- und Handarbeit bis zur Auslieferung der Möbel. Die freudestrahlenden Gesichter meiner Kund*innen am Ende sind das, was mich jeden Tag aufs Neue motiviert.

Ich gehöre erst zu diesen glücklichen Frauen, seitdem ich meine eigene Chefin bin, das Betriebsklima in der Werkstatt lenken und Alles selbst entscheiden kann.

Du hast im letzten Jahr eine erfolgreiche Bundestagspetition mit 111.794 Unterschriften auf den Weg gebracht. Worum gings hier und was hat sich seither getan?

Ich wurde letztes Jahr als selbstständige Tischlermeisterin schwanger. Als angestellte Tischlerin hätte ich direkt zu Beginn der Schwangerschaft ein Beschäftigungsverbot bekommen, aufgrund der gesundheitlichen Gefahren in diesem Beruf. Als Selbständige muss ich es mir leisten können, nicht zu arbeiten, da es hier keinerlei adäquate Absicherung gibt. Die meisten selbstständigen Schwangeren in meiner Situation geben ihren Betrieb auf oder stehen hochschwanger auf der Leiter, an den Maschinen und im Bankraum.

Und wie war das für dich?

Ich war echt sauer, dass es keine echte Absicherung gab und habe mit zwei Mitstreiterinnen zwei Petitionen für den Mutterschutz selbstständiger Schwangerer gestartet. Erst auf change.org – dort hatten wir nach 4 Wochen 50.000 Unterschriften zusammen und übergaben sie Michael Kellner, den Mittelstandsbeauftragten der Bundesregierung. Weil der politische Apparat darauf aber nicht reagieren muss, mussten wir erneut eine Petition im Bundestag einreichen. Wochenlang hatten wir nur wenige Tausend Unterschriften – um das Quorum zu erreichen, brauchten wir aber 50.000. Eine Woche vor Schluss, haben wir es geschafft, weitere Mitstreiter*innen ins Boot zu holen und größere Accounts auf Instagram zu erreichen. In letzter Minute hatten wir mehr als doppelt so viele Unterschriften wie nötig. In der Ausschusssitzung bekamen wir durchweg von allen Parteien Zuspruch. Ich wurde ins Wirtschaftsministerium eingeladen, um meine Sichtweise einzubringen und die Familienministerin Lisa Paus hat vor kurzem verkündet, dass sie sich für den Mutterschutz für Selbstständige stark macht.

Durch die Aufmerksamkeit auf die Thematik,  verstehen die meisten Menschen mittlerweile, dass es sich hier nicht um ein normales „unternehmerisches Risiko“ handelt, sondern um ein geschlechtsspezifisches Risiko mit enormen Kosten für die Betroffene. Nur weil sie sich Vereinbarkeit von Job und Familie wünscht.

Die meisten selbstständigen Schwangeren in meiner Situation geben ihren Betrieb auf oder stehen hochschwanger auf der Leiter, an den Maschinen und im Bankraum.

Was macht weiblich geführte Unternehmen im Handwerk aus? Wie prägst Du das Tischlereihandwerk?

Ich denke nicht, dass man dies anhand des Geschlechts festmachen kann. Aber meine Sozialisation und Erfahrungen meiner 4-jährigen Wanderschaft in Kanada, Neuseeland und Japan haben dafür gesorgt, dass mein Unternehmen anders funktioniert als viele andere Betriebe. Für mich ist es wichtig, dass meine Kund*innen und ich gemeinsam das Projekt gestalten und das Ziel definieren. Nicht ich verwirkliche mich – sondern ich helfe den Kund*innen ihre eigenen Vorstellungen zu realisieren. Dabei berate ich, wenn ich das darf – ich stülpe aber niemandem etwas über. Ich habe einen hohen Anspruch an Perfektion – das bedeutet aber auch, dass die Uhren bei mir langsamer laufen müssen, da Sorgfalt Zeit braucht. Manchmal dauert es 2 Jahre vom ersten Entwurf, bis zum fertigen Projekt.

Johanna fertigt eine Truhe aus Holz an- Beitragsbild von Lexware Tell Your Story

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