Sabine Votteler war mehr als 20 Jahre lang Führungskraft, bevor sie sich 2014 selbstständig machte. Sie berät und unterstützt Menschen, die sich aus einer langjährigen Karriere heraus selbstständig machen wollen, und bloggt und podcastet auch über dieses Thema.
„Fürs Gründen muss ich „all in“ gehen“ – wie viel hältst du von diesem Glaubenssatz?
Naja, kommt drauf an, was „all in“ bedeutet. Sprechen wir über das benötigte Commitment? Dann Ja! Ein „bisschen“ selbstständig geht aus meiner Sicht nicht. Du musst es wollen und dich dafür echt einsetzen. „All in“ heißt aber nicht, dass das von Anfang an unbedingt Vollzeit sein muss. Man kann gut nebenberuflich starten, darf nur dann den Absprung nicht verpassen. Es gibt nämlich auch Gründer:Innen, die einfach nie voll selbstständig werden, weil ihr Hauptjob ihnen zu wenig Zeit lässt. Da muss man dann irgendwann Prioritäten setzen.
Wie kam es dazu, dass du heute selbstständig bist?
Ich hatte meinen Managementjob gekündigt, nachdem ich im Burnout gelandet war. Es ging einfach nicht mehr. Ich fühlte mich so eingeschränkt, so wenig wirksam und hatte so wenig Spaß an meinem damaligen Job, dass ich dort nicht weitermachen konnte.
Meine Vorstellung war allerdings, dass ich mir einen neuen Job suchen würde. Während dieser Neuorientierungsphase fuhr ich zweigleisig: Ich bewarb mich auf Führungsjobs und gleichzeitig beriet ich als Freelancer Unternehmen – und „probierte“ sozusagen die Selbstständigkeit.
In dieser Zeit wurde mir immer klarer, dass mein Weg nicht zurück in eine Anstellung führte, so dass ich dann sogar das Jobangebot meines Lebens – als ich es endlich hatte – wieder absagte. Ich entschied mich für das Abenteuer Selbstständigkeit.
Und was machst du heute?
Heute berate ich Menschen Ü40, die aus einer langjährigen und erfolgreichen Karriere kommen und sich neu orientieren wollen. Häufig wissen sie noch gar nicht, welches der richtige Weg für sie ist. Sie stecken oft mitten in der „Career Transition“, wie ich es nenne. Sie wissen, dass sie etwas ändern müssen, aber nicht was und wie. Das finden wir dann heraus. Das Ziel: Klarheit und eine fundierte Grundlage, um eine durchdachte und geprüfte Entscheidung treffen zu können: Fürs Bleiben oder Kündigen.
Das Ergebnis, ob der Weg wieder in eine Anstellung oder die Selbstständigkeit führt, ist offen. Wenn letzteres der Fall ist, unterstütze ich diese Menschen dabei, ihre Geschäftsidee und ihr Businessmodell zu entwickeln und in die Selbstständigkeit zu starten.
Was sind das für Menschen, die du berätst und coachst?
Ich habe hauptsächlich mit Menschen zu tun, die beruflich schon viel erreicht haben. Sie haben einen guten Job, verdienen ein ansehnliches Gehalt und waren immer auf der Erfolgsspur. Doch plötzlich fängt man an, dieses alte Karriere-Modell zu hinterfragen. Meist gibt es eine Veränderung wie eine Umstrukturierung, einen neuen Vorgesetzten, man wird bei einer Beförderung übergangen o.ä.
Häufig spielt das Alter eine Rolle. In der sogenannten Mitte des Lebens reflektieren viele Menschen ihr Leben und ihre Ziele. Sie werden sich der eigenen Endlichkeit bewusst und hinterfragen den Sinn ihres Lebens. Werte wie Selbstbestimmung, Freiheit und Wirksamkeit gewinnen an Bedeutung, während Dinge wie Status und Macht unwichtiger werden.
Bei manchen schwelt die Unzufriedenheit schon jahrelang bevor dann ein entscheidendes Ereignis – wie etwa ein Burnout – den Anstoß gibt, wirklich etwas zu unternehmen.
Was sind typische Fragen deiner Kund:innen, die du berätst?
Oft startet die Unzufriedenheit mit einem diffusen Gefühl und keiner konkreten Vorstellung, was der nächste Schritt sein kann. Was rätst du Menschen, die wie du damals, nach eigenen Aussagen, keine Idee haben, keinen Plan – aber wissen, dass sie sich beruflich verändern wollen?
Sich selbst kennenlernen, ausprobieren, sich beraten lassen. Zunächst ist es wichtig, dem „diffusen Gefühl“ auf den Grund zu gehen und herauszufinden, was einen ganz konkret stört, um die Rahmenbedingungen zu definieren, die einem in Zukunft wichtig sind.
Ein weiteres Problem ist, dass sich die meisten gar nicht wirklich kennen. Sie wissen häufig nicht, was sie wollen. Sie starten die Suche, bei dem was sie können, und meistens ist das nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was sie beruflich bisher gemacht haben. Und oft ist auch genau das nicht mehr attraktiv für sie.
Es braucht deshalb eine tiefe Analyse, um herauszufinden, was wirklich in einem Menschen steckt und Kreativität, um zu erkennen, wie diese Fähigkeiten, die weit über die berufliche Expertise hinausgehen, auf den beruflichen Bereich übertragen werden können. Das ist auch ein Prozess des Experimentierens und Erfahrens. Dinge zu tun und zu spüren, was sie mit einem machen. Bloßes Nachdenken hilft in dieser Phase nicht.
Neue Menschen kennenlernen, viele Gespräche führen, Veranstaltungen besuchen, Kurse belegen, Ideen aufgreifen, ausprobieren. Ehrenamtlich, in der Freizeit, nebenberuflich.
Und sich helfen zu lassen ist ebenfalls eine gute Idee. Das Problem ist, dass wir in unserem engsten Umfeld eher nicht die besten Unterstützer finden. Unsere Angehörigen wollen nicht, dass wir ein Risiko eingehen. Und leider bedeutet Veränderung – auch und vor allem Selbstständigkeit – für die meisten ein hohes Risiko. Besser ist es, sich von Menschen beraten zu lassen, die einen neutraleren Blick haben und sich mit dem Thema auskennen und den Weg im besten Fall schon gegangen sind.