Beccs unterstützt als selbstständige:r Speaker, Sensitivity Reader und Lektor:in sowie mit der Plattform „Minzgespinst“ Menschen und Organisationen dabei, ein inklusiveres und vielfältigeres Umfeld zu schaffen. Als Mensch mit Behinderung bietet die Selbstständigkeit Beccs vieles, was es zum erfüllten Leben braucht.
Du bist selbstständig als Politfluencer:in. Was machst du genau?
Beccs: Ich arbeite als Speaker, Sensitivity Reader und Lektor:in und biete zudem Sensitivity Beratung, Empowerment und Coaching an. Und weil das auf keine Visitenkarte passt, habe ich mir einen eigenen Jobtitel überlegt: Politfluencer:in! In meiner Arbeit unterstütze ich Menschen und Organisationen dabei, ein inklusiveres und vielfältigeres Umfeld zu schaffen. Seitdem ich Minzgespinst gegründet habe, biete ich eine Plattform für unterschiedliche Perspektiven und Intersektionalität.
Wolltest du dich schon immer selbstständig machen?
Beccs: Tatsächlich habe ich mir immer eher Gedanken darüber gemacht, wie ich inhaltlich arbeiten möchte als auf welche Art und Weise. Deshalb war Selbstständigkeit immer eine Option neben anderen. Die Entscheidung zur Selbstständigkeit rührt daher, dass ich die Welt ein Stück besser machen möchte – aber nicht nur innerhalb eines Unternehmens, sondern im größeren Maßstab.
Viele Unternehmen wären gerne inklusiver, aber wissen nicht, wie sie das umsetzen können. Ich bin behindert, pflegebedürftig, auf Assistenz angewiesen und nichtbinär trans. Ich weiß aus eigener Erfahrung, wo es in der Arbeitswelt noch hakt. Häufig werden behinderte Menschen oder auch queere Menschen bei Bewerbungsgesprächen gar nicht erst eingeladen. Gleichzeitig gibt es überall Fachkräftemangel und viele Betriebe suchen händeringend Nachwuchs. Ich möchte Lösungen für Unternehmen und Betriebe schaffen, liebe aber auch meine Unabhängigkeit. Damit war die Selbstständigkeit die perfekte Möglichkeit für mich.
Du setzt dich für Vielfalt und Inklusion ein und trägst aktiv zur Sensibilisierung und Empowerment rund um Queerness, Autismus und Awareness bei. Was muss passieren, damit wir in Deutschland Chancengleichheit und Toleranz leben?
Beccs: Wir müssen auf Bildung, Sensibilisierung und die Beteiligung aller Menschen setzen. Hinderlich sind Vorurteile, Unwissenheit und mangelnde Bereitschaft zur Veränderung. Förderlich sind Dialog, Offenheit und der Austausch von Erfahrungen und Wissen. Wenn wir Strukturen verändern, dann schaffen wir Möglichkeiten. Wenn wir sie erst ändern, sobald sich Menschen outen, schaffen wir Betroffene, die immer direkt mit „Ah, das ist die Person X, die hat Behinderung Y, deshalb musste Z geändert werden“ assoziiert werden. Oder eben: „Ah, das ist DIE trans Person, die brauchte eine neue Mail!“.
Um hier einen Unterschied zu machen, hast du dich mit deiner Plattform „Minzgespinst“ selbstständig gemacht. Was schätzt du an der Selbstständigkeit?
Beccs: Ich schätze die Flexibilität und die Möglichkeit, meine eigenen Entscheidungen zu treffen. Die Selbstständigkeit ermöglicht mir, meine Arbeit meinen individuellen Bedürfnissen und Fähigkeiten anzupassen.
Ich bin nicht selbstständig, obwohl ich behindert bin, sondern weil ich behindert bin!
Als behinderte Person habe ich andere Energieressourcen als chronisch gesunde, nichtbehinderte Menschen und teilweise einen sehr seltsamen Schlafrhythmus. Bei einem „klassischen“ Angestelltenverhältnis wäre ich wahrscheinlich häufig krankgeschrieben. Als selbstständige Person kann ich dagegen auch vom Bett aus zu unmöglichen Uhrzeiten arbeiten. Davon profitieren dann meine Klient:innen, denn bisher habe ich beim Sensitivity Reading und Lektorat noch jede Deadline gerettet!
Selbstständigkeit als gelebte Unabhängigkeit?
Beccs: Ich bin nicht selbstständig, obwohl ich behindert bin, sondern weil ich behindert bin! Nichts hat mich besser auf die Selbstständigkeit vorbereitet als die Organisation und Planung meiner persönlichen Assistenz. Finanzpläne, Zeitmanagement und Personal-Organisation? Alles bereits im Alltag integriert. Wer auf 24-Stunden-Unterstützung angewiesen ist, lernt zu koordinieren und Aufgaben zu delegieren, um die eigenen Prioritäten zu setzen.
Damit war mein Schritt in die Selbstständigkeit eigentlich nur eine logische Konsequenz, die ich nie bereut habe! Die Selbstständigkeit bietet mir durchaus Flexibilität in Bezug auf Arbeitszeit und Arbeitsort. Gerade als behinderte Person passe ich in kein übliches Schema von 9-to-5, aber in meinem eigenen Rhythmus bin ich höchst produktiv. Deshalb denke ich, dass gerade Menschen, die gerne „out of the box“ denken und die ihren eigenen Weg gehen, in der Selbstständigkeit gut aufgehoben sind.
Außerdem fördert die Selbstständigkeit das persönliche Wachstum und die Weiterentwicklung von Fähigkeiten. Als selbstständige Person ist man ständig gefordert, sich neuen Herausforderungen zu stellen und sich an veränderte Rahmenbedingungen anzupassen. Das führt dazu, dass Selbstständige ein breites Spektrum an Kompetenzen entwickeln und ständig dazulernen. Lebenslanges Lernen ist bei Selbstständigen automatisch Teil der Jobbeschreibung.
Gerade Kleinunternehmer:innen und Solo-Selbstständige sind grundsätzlich ein X-Personen-Team in einem. Gleichzeitig hilft man sich gegenseitig: Ein gutes Netzwerk ist das A und O! Und der Vorteil gegenüber einem Angestelltenverhältnis: Mein Team und mein Netzwerk suche ich mir immer selber aus!
Was würdest du Menschen sagen, die sich selbstständig machen wollen, aber noch zögern?
Beccs: Für mich war es nie die Frage, ob es „mutig“ ist, mich selbstständig zu machen: Ich habe es einfach getan. Vielleicht ist das auch mein Plädoyer: Lasst euch keine Ängste einreden und traut euch, zu euren eigenen Stärken zu stehen!