Fußballplatz mit Mittellinie

Klar in der Sache, herzlich zum Menschen

Was können Führungskräfte und Unternehmer:innen von Schiedsrichtern lernen? Im Gespräch mit Deniz Aytekin, dreimaliger Bundesligaschiedsrichter des Jahres, mehrfacher Gründer und gefragter Unternehmenscoach.

DFB-Schiedsrichter Deniz Aytekin im Interview mit Lexware Tell Your Story

Was war zuerst: Der Traum der Schiri-Karriere oder der Traum von der Selbstständigkeit?

Als ich mit 17 Jahren in die Schiedsrichterwelt eingetaucht bin, habe ich mich nicht wirklich mit der Selbständigkeit beschäftigt. Mein Fokus lag auf dem Fußball und um ehrlich zu sein: Ich hatte es auch nicht vor, in die Bundesliga zu kommen. Als ich mit Anfang 20 schon Landesligaspiele gepfiffen habe, wurde mir klar, dass hier eine große Chance besteht, weit zu kommen. Trotz der Liebe zum Fußball wollte ich aber nie nur davon abhängig sein.

Als du 2008 dein erstes Spiel in der Bundesliga pfeifst, bist du bereits fünf Jahre Unternehmer. Wie hast Du es geschafft, in mehreren Bereichen erfolgreich zu sein, ohne auszubrennen?

Ich gehöre zu denen, die wahnsinnig gerne viel arbeiten. Als mit Mitte 20 meine Unternehmer- und Schiedsrichterkarriere so richtig Fahrt aufnahm, habe ich Vollgas gegeben – wie viele junge Selbstständige in diesem Alter auch. Ein guter Freund meinte zu mir: „Deniz, in ein 60-Liter-Fass passen keine 80 Liter rein.“

Es hat ein bisschen gebraucht, bis ich diesen Satz wirklich ernst nahm. Inzwischen verstehe ich auch, wie wichtig es ist, die eigene Basis – Familie und Freunde – nicht zu vergessen. Und natürlich fragt man sich rückblickend: Hätte ich diese Spiele wirklich pfeifen müssen? War dieser Deal wirklich nötig?

Deniz Aytekin in selbstständiger Unternehmer und DFB Profischiedsrichter
Was viele nicht wissen:Profi-Schiedsrichter wie Deniz Aytekin sind per Gesetz selbstständigeGewerbetreibende. Die Selbstständigkeit hört für ihn hier nicht auf, dennzusätzlich ist er Mitgründer und Geschäftsführer verschiedener Unternehmen undals Speaker, Buchautor und Coach tätig.

Was reizt dich an der Selbstständigkeit?

Es ist die Mischung aus dem Spaß an der Arbeit und der Unabhängigkeit. Und da habe ich alles Mögliche erfahren – nicht nur als Schiedsrichter, sondern auch als Unternehmer: Vom Aufbau eines Unternehmens mit etwa 200 Angestellten, dem Verkauf und der Beteiligung an neuen Unternehmen bis hin jetzt zur Solo-Selbstständigkeit als Autor, Coach und Speaker. Das macht mir besonders Spaß, denn hier kann ich wirklich unabhängig entscheiden, welche Projekte ich annehme und welche nicht.

Ich habe mir zu meinem 40. Geburtstag vorgenommen: Ab jetzt arbeite ich nicht mehr mit Idioten zusammen. Und ich muss sagen, dass gelingt mir in 98 % der Fälle sehr gut. Lieber verzichte ich auf Umsätze und Aufträge, aber dafür habe ich eine positive menschliche Verbindung und agiere in einem Umfeld, das mir Freude bereitet.

Ich habe mir zu meinem 40. Geburtstag vorgenommen: Ab jetzt arbeite ich nicht mehr mit Idioten zusammen. Und ich muss sagen, dass gelingt mir in 98 % der Fälle sehr gut.

Ob als Schiedsrichter oder Geschäftsführer: Welche Prinzipien sind Dir als Führungskraft besonders wichtig?

Es gibt ein Credo, das für mich im Umgang mit den Profis auf dem Platz und auch mit Mitarbeitenden gilt: Klar in der Sache, aber herzlich zum Menschen. Ich entscheide konsequent, bin aber eben auch empathisch. Ich führe so, dass meine Entscheidungen klar und berechenbar sind, um verlässliche Leitplanken zu setzen.

Wichtig ist dabei, die Person und ihr Verhalten voneinander zu trennen. Aber um ehrlich zu sein: Das gelingt mir im Unternehmen oder als Schiedsrichter besser als im Privaten. Je näher mir die Menschen sind, zum Beispiel bei meinen Kindern, desto schwerer fällt mir diese Konsequenz.

Welche Ratschläge kannst du aus der Teamarbeit in einem Schiedsrichtergespann an Gründerteams geben?

Einer der wichtigsten Faktoren ist die psychologische Sicherheit. Damit Menschen mutig agieren, proaktiv vorangehen und Verantwortung übernehmen, braucht es eine gesunde Fehlerkultur im Team. Psychologische Sicherheit zu schaffen, damit kann man sich aus meiner Sicht nicht früh genug beschäftigen, denn das gilt im Sport, zuhause und auch im Unternehmen.

Dazu gehört auch, dass man als Entscheider Verantwortung fürs Team übernimmt, selbst wenn Andere den Fehler machen. Meine Erfahrung hat mir gezeigt: Eine gute Stimmung bringt gute Entscheidungen und macht letztlich mehr Umsatz – oder bringt mehr Punkte, um beim Sport zu bleiben. Auch als Gründer:in sollte man das nicht vernachlässigen: Nicht immer nur Strategie, sondern auch Stimmung.

Wie wichtig ist dir Selbstreflexion, um mit Herausforderungen oder Rückschlägen umzugehen?

Selbstreflexion ist mir extrem wichtig, ich bin sehr selbstkritisch und finde immer wieder Stellschrauben, an denen ich Entwicklungspotenzial feststelle. Man muss aber auf der anderen Seite aufpassen, dass man nicht zu selbstkritisch wird. Ich finde, es braucht ein gesundes Selbstvertrauen, ohne dabei das eigene Ego aufzublasen. Viele Selbstständige und auch Sportler dienen eher ihrem eigenen Ego als einer größeren, übergeordneten Sache, von der auch andere Teammitglieder abhängen.

Welche Parallelen existieren zwischen dem Schiedsrichter- und Unternehmer-Dasein?

Da gibt es viele, aber eine Hauptparallele sehe ich ihm Entscheiden unter hohem Druck und bei gleichzeitig mangelnder Faktenlage. Besonders spannend wird es, wenn diese Entscheidungen nicht nur einen selbst betreffen und im „stillen Kämmerlein“ getroffen werden, sondern einer größeren Masse zur Verfügung stehen – sei es als Führungskraft in einem Unternehmen oder als Schiedsrichter in der Bundesliga. Hier ist es wichtig, die externen Meinungen und Besserwisser auszublenden und einen kühlen Kopf zu bewahren.

Was erfüllt dich derzeit am meisten: Die Schiedsrichterei, deine Selbstständigkeit oder private Hobbys wie etwa deine DJ-Leidenschaft?

Das ist schwer zu vergleichen. Der Fußball bietet so viele Adrenalin-Momente, die dir eigentlich keine andere Tätigkeit bieten kann. Dieses unglaubliche Gefühl, in ein vollbesetztes Stadion mit 60.000 Menschen einzulaufen.

Ich habe als Selbstständiger andere schöne Momente, die mir viel geben. Ich versuche, alles, was ich tue, ganz bewusst zu machen und die Freude dabei zu genießen. Das gelingt mir – gerade im Vergleich zu meinen Zwanzigern – viel besser und ich freue mich auf all die schönen Momente, die auf der Zielgeraden meiner Karriere noch auf mich warten.

Als Führungskraft ist es wichtig, die externen Meinungen und Besserwisser auszublenden und auch unter Druck einen kühlen Kopf zu bewahren.

Und zum Thema DJ: Das mit dem Auflegen ist mir ein bisschen zu öffentlich geworden. Ich bin vor Jahren auf einem Festival eines Bekannten aufgetreten und seither werde ich immer noch regelmäßig angefragt, ob ich auf irgendwelchen Gigs spielen kann. Für mich ist das eigentlich eine private Sache, mit der ich super abschalten kann. Und das sollte man als Unternehmer nie vergessen.

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Titelbild: Thomas Böcker/DFB
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