
Anna Lessing wollte eigentlich Lehrerin werden. Heute stellt sie veganen Käse her. Ihre Manufaktur VEEZE in Oldenburg war früher eine Fleischerei. Ist ihr veganer Käse nur Produkt oder schon Protest?

Das Schild der alten Fleischerei hängt noch über dem Eingang, „Halal Meat Brothers", ein Relikt aus alten Zeiten. „Irgendwann nehmen wir das auch noch ab”, sagt Anna. Aber gerade findet sie es noch „zu ironisch”, also lässt sie es hängen. Unter dem Schild öffnet sich die Welt von VEEZE, Anna Lessings veganer Käsemanufaktur. Und direkt zieht das Tempo an. Denn wer Anna begegnet, wird förmlich mitgerissen. Sie redet schnell – also wirklich schnell – und dabei fällt nicht eine Worthülse.
Anna Lessing ist Gründerin, obwohl sie „nie der Typ dafür gewesen” sei, sagt sie. Dass sie heute eine Manufaktur führt, mit einem Strategic Head of Operations, mit mehreren Festangestellten und Werkstudenten, war nie der Plan. Vom Lehramtstudium zur veganen Käserei, vom „sicheren Job“ zu Tausenden verschickten Paketen – wie geht das?

Es geht, sogar ziemlich schnell, auch wenn Anna findet, das lief alles „sehr steady and slowly”. Im Frühjahr 2020, inmitten der Pandemie, „wo fast jede:r ein neues Hobby hatte”, bestellt sich Anna ein DIY-Set für veganen Käse. Sie taucht ein in Facebook-Gruppen, verschlingt Rezeptbücher für traditionellen Käse und beginnt in ihrer eigenen Küche zu tüfteln. Dann im Café von Freunden. Dann in einer Coworking-Kitchen. Wie stellt man Käse her? Wie entsteht so ein Edelschimmel? Wie reift man Käse? Und dabei mag Anna noch nicht einmal Käse, mochte sie noch nie. Erst seit sie vegan lebt – das sind jetzt neun Jahre – und seit sie ihren eigenen Käse herstellt.
Vom Tüfteln zum Business
Den Ausschlag geben Freund:innen, die laufend Annas Variationen probieren. „Anna, das musst du verkaufen!" heißt es immer wieder. Es dauert drei Jahre vom ersten Käse-Abfüllen zu Hause bis zur eigenen Manufaktur. Die Liebe führt sie von Hannover nach Oldenburg. Und da ist sie, diese alte Fleischerei, die da zufällig leer steht, „mit Bodenabflüssen, mit Spülküche, mit allem, was es braucht”. Anna zögert nicht lange. Sie nimmt einen Kredit auf. Ihr Schwiegervater packt an, baut alles um. Das alte Schild aber bleibt.
Annas vegane Käse, das sind „Cammie” und „Blues”, „Vozza” [wie Wodka] und „Goatie”. „Meine Babies“, schwärmt Anna. Sie spricht von Texturen, Konsistenzen, Edelschimmel und Pilzkulturen wie von Lebewesen. Und dennoch, bei aller Liebe, muss sie über ihren Mut lachen: „Zum Gründen haben wir uns das beschissenste Produkt ausgesucht, was man sich nur aussuchen kann.“ Das sagen sie sich auch immer wieder im Team. „Es braucht Wochen zur Reife und hat ein sehr kurzes Mindesthaltbarkeitsdatum.“ Aber es ist eben auch das Beste, was sie machen konnte: „ein ethischer Beitrag, die Welt ein Stück besser machen.“


Ein guter Tag ist…
„Wenn ich in der Spülküche stehe, es schallt Gelächter aus der Produktion, und ich weiß: Die Leute sind gerade hier, weil ich ihnen einen Job geben kann.“ Anna delegiert mittlerweile, was sie Jahre lang allein gemacht hat. Die Buchhaltung ist ausgelagert, die behördlichen Aufgaben sind geschafft. Sie hat viele helfende Hände gewonnen. Ihre Mutter kommt jeden Montag aus dem Emsland, fährt anderthalb Stunden hin und wieder zurück, hilft beim Versand. Es ist ein Betrieb, der manchmal schmerzhaft wächst, oft chaotisch bleibt. „Ich bin chaotisch”, betont Anna. Kollege Tony nickt.
Auf TikTok, Instagram, LinkedIn zeigt Anna von Anfang an, was Gründung auch bedeutet: misslungene Chargen, rote Zahlen, geplatzte Deals, Tränen. Im August 2024 geht sie plötzlich viral. Wenig später folgt ihr Pitch bei Die Höhle der Löwen. Die Online-Bestellungen explodieren. „Wir erreichten auf Social Media plötzlich so viele Menschen, dass wir den Verkauf zu Weihnachten in zwei Chargen splitten mussten.” Aber es reicht trotzdem nicht. Sie verkaufen aus. „1000 offene Bestellungen pro Woche!” – Anna und ihre Mutter sitzen weinend im Büro. Sie müssen die Reißleine ziehen, ihr Onlineshop muss eine Weile offline gehen.

Erfolg, der schmerzt
Parallel prasseln Hasskommentare und Kritik über Social Media herein. „Zu Anfang hat es mich sehr mitgenommen”, berichtet Anna. Mittlerweile hat sie dagegen eine Resilienz aufgebaut. Wie? „Ich mache einfach Content draus”, strahlt sie. Ihr veganer Käse ist Produkt und Protest zugleich. Es ging ihr schon immer um mehr als nur um Käse: „Ich will dafür sorgen können, dass wir es als Gesellschaft schaffen, uns von tierischen Produkten weg zu entwickeln, hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft.”
Nun ist Herbst, bald Winter. Was steht als nächstes auf der Agenda? „Veganer Ofenkäse, der wird ab Herbst viel nachgefragt.” Daran arbeitet Anna auch seit eineinhalb Jahren. Und dann kommt wieder das Weihnachtsgeschäft. Was, wenn zwischendurch weltweit die Cashews ausgehen? Dann findet sich schon eine andere Nuss. „Ich weiß, ich sollte ihn vielleicht parat haben, aber:
„Es gibt keinen Fünfjahresplan. Den gab es auch noch nie.”
Aber Wünsche gibt es, Ziele und Träume: „Irgendwann deutschlandweit unsere eigene vegane Käsetheke zu haben, das wär’s.” Dass Menschen vegane Käsevariationen als erste Wahl betrachten – und dann erst klassischen Käse. Dass man „die Leute” nachts weckt und fragt „Hey, was ist der beste Käse – vegan oder klassisch?” Und sie murmeln noch im Halbschlaf „Der von VEEZE.“ Das ist Annas Vision. „Es wird noch etwas dauern, bestimmt noch zehn bis 20 Jahre, bis es so weit ist”, schätzt sie, „aber man muss ja träumen dürfen.”
Mehr zu Anna Lessing und VEEZE findest du auf ihrem TikTok-Account: @veeze.de
Fotocredits: Francesca Amann
Text: Despina Borelidis