
Als Jan-Oliver Lange im Sommer 2005 seinen ersten Poetry Slam veranstaltet, kommen 18 Gäste. Sieben Artists slammen in einem Hamburger Kinosaal, sein Schulfreund Michel Abdollahi moderiert. Zur zweiten Veranstaltung kommen 150 Gäste. Zehn Jahre später der Weltrekord. Kampf der Künste veranstaltet den größten Poetry Slam: 5000 Menschen lauschen Lyrik auf der Hamburger Trabrennbahn. Aber darum ging es nie. Oder doch?

Jan-Oliver, seit du vor mehr als 20 Jahren deinen ersten Poetry Slam veranstaltet hast, hat Kampf der Künste Artists wie Hazel Brugger, Till Reiners und Felix Lobrecht eine Bühne bereitet. Mittlerweile füllt ihr große Säle, darunter die Elbphilharmonie. War das immer der große Plan?
Jan-Oliver: Nein, es gab nie den Masterplan. Wir haben Schritt für Schritt gemacht, was gerade sinnvoll war und uns Spaß gebracht hat. Ich war zehn Jahre lang beim Hamburger Zeise Kino angestellt und dort verantwortlich für Slams. Meine Selbständigkeit baute ich mir parallel dazu auf.
Seit wann seid ihr mit Kampf der Künste eine GmbH?
Jan-Oliver: Seit 2018. Zuvor gründeten wir im Team einen Verein, dann eine gGmbH.
2010 kamst du ins Spiel, Elisa. Du hattest zuvor als Schülerin U20-Slams veranstaltet und bist dann als Studentin bei Kampf der Künste eingestiegen.
Elisa: Ja, damals war die Poetry Slam-Szene noch eine Subkultur. Ich studierte Kulturwissenschaften in Lüneburg und war, wie Janni, großer Poetry Slam-Fan. Bei Kampf der Künste hatte ich einen sehr schönen Nebenjob, ich verbrachte viele Stunden damit.

Seitdem seid ihr ein Paar und sehr erfolgreich. Ihr bildet seit 2015 die Doppelspitze von Kampf der Künste. Was treibt euch an?
Jan-Oliver: Wir wollten Poetry Slam- und Spoken Word-Formaten die bestmögliche Bühne bieten. 2005 gab es in Hamburg nur einen Poetry Slam in einem kleinen überfüllten Kellerclub mit Indie Vibes. Das war cool und heimelig, aber ich wusste – bei der Qualität auf der Bühne, bei der Begeisterung im Publikum: Hier ist nicht Endstation für das Format. Deswegen haben wir immer weiter neue Bühnen ausprobiert.
Elisa: Es ist eskaliert über die Jahre. Zum Zeise Kino gesellten sich Haus 73 und Birdland, das Schauspielhaus, das Ernst Deutsch Theater, der Mojo Club, die Barclays Arena, dann die Elphi und weitere Orte.
Jan-Oliver: Unser Need, dieses Extra zu bieten, rührt daher, dass wir selbst keine Poetry Slammer sind, aber von der Szene angenommen werden wollten.
Welche Risiken seid ihr dafür eingegangen?
Jan-Oliver: Wir haben schon sehr früh damit begonnen, Poetry Slam groß zu denken. Als der Slam-Hype 2014 mit Julia Engelmann kam, hatten wir schon die großen Shows. Zusätzlich haben wir Experimente gemacht – Open Air-Formate im Stadtpark beispielsweise.
Elisa: Generell Slams an ungewöhnlichen Orten, auf einer Barkasse bei voller Fahrt oder in einer U-Bahnstation, wo man erst denkt, “schwierige Kulisse”.
Wir haben festgelegt, dass unsere Beziehung die Grundlage für alles ist. Sobald wir merken, dass sie leidet, verändern wir etwas.
War euer Antrieb nicht auch, davon leben zu können?
Jan-Oliver: Es war nicht die erste Motivation, aber als ich merkte, dass es funktioniert, wollte ich auch mehr Zeit damit verbringen. Ich wollte es mir auch leisten können, Kampf der Künste noch professioneller und größer aufzustellen. Davon leben können wir seit 2015 – mit mehr oder weniger Zuverdienst.
Elisa: Auch das war eine jahrelange Entwicklung – vom zeitlichen und geistigen Invest zu einem festen Lohn, einem Honorar, einer Gage und dann hin zur Struktur eines Geschäftsführergehalts. Heute können wir davon leben.
Zehn Jahre mit, zehn Jahre ohne Elisa als Geschäftsführerin: Wie ist deine Bilanz, Jan-Oliver?
Jan-Oliver: Meine Arbeitsweise ist eher intuitiv und impulsiv. Elisa arbeitet sehr strukturiert und effizient. Ohne sie hat das in den ersten zehn Jahren auf jeden Fall gefehlt. Das sage ich nicht nur rückblickend, das konnte ich schon damals erkennen.
Elisa: Und Janni fragt viel mehr: „Wie wär’s, wenn wir das machen oder jenes?” oder „Warum gibt es da eigentlich noch keinen Slam?”. Ich frage: „Was ist realistisch?” Ich bin keine Bremse, aber schon diejenige, die direkt nach der Umsetzbarkeit der Idee fragt.
Gibt es Vetos?
Elisa: Intern diskutieren wir sehr viel. Manchmal clashen wir auch aufeinander. Das führt aber dazu, dass wir uns im wirklich eingetretenen Fall einig sind. Schließlich haben wir es dann schon ausdiskutiert, es konnte reifen, weswegen wir zuletzt auch einer Meinung sein können.


Ihr habt zwei Kinder. Elisa, du bist aktuell im Mutterschutz. Was macht der Family-Effekt mit einem selbständigen Paar?
Jan-Oliver: Bis 2018 war Arbeiten mein Standardmodus. Das hat sich geändert, als unsere Tochter auf die Welt kam. Wir haben seitdem eine „Wortmonster-Reihe”: einen Slam für Kinder. Perspektivisch hatten wir Slams, zu der die ganze Familie geht, vor Augen. Unsere Große ist seit ihrem dritten Lebensjahr bei allen Kindershows dabei – sie ist Fan von Sebastian 23. Seit diesem Sommer nehmen wir sie auch mit zu Slams für Erwachsene. Das gibt ihr Einblick in unsere Arbeit. Und es spart einen Babysitter.
Mit welchen Routinen haltet ihr Familie und Geschäft am Laufen?
Elisa: Wir haben festgelegt, dass unsere Beziehung die Grundlage für alles ist. Sobald wir merken, dass sie leidet, verändern wir etwas. Die Beziehung ist an erster Stelle. Klingt basic, ist essenziell.
Kommt die Arbeit mit nach Hause?
Elisa: Natürlich, auch durch die Kinder: Wir wechseln uns viel mehr ab, dadurch tauschen wir uns auch zu Hause viel mehr aus. Aber ab dem Moment, wo wir anfangen zu diskutieren, unterbrechen wir.
Jan-Oliver: Es hat etwas gedauert, bis wir das ausgehandelt haben. Aber spätestens seit 2015, seit wir beide Geschäftsführer sind, ist die Grenze schon ziemlich klar: Immer, wenn es komplexe oder unangenehme Themen sind, ist der Punkt erreicht, wo wir entscheiden: „Nee, das machen wir in einem klaren Arbeitsmodus im Büro. Das besprechen wir jetzt nicht hier nebenbei."
Welche Stelle habt ihr wann als erste fest besetzt und wie groß ist Euer Team heute?
Jan-Oliver: 2015 haben wir das Booking fest besetzt. Unser Mitarbeiter hat schon seine Ausbildung bei uns gemacht und ist bis heute im Unternehmen. Das Team besteht mittlerweile aus fünf festangestellten und 15 freien Mitarbeiter:innen.
Elisa: Anfangs waren die Grenzen noch sehr fließend. Da hat Janni Marketing, Personal und Buchhaltung noch selbst gemacht. Mittlerweile sind wir dazu übergegangen, Buchhaltung, Marketing und Verwaltung komplett voneinander zu trennen.

Wie fühlt es sich an, Verantwortung für ein Team zu übernehmen – gleichzeitig aber Projektverantwortung abzugeben?
Elisa: Menschen brauchen Sicherheit, ein Team ist auch einfach finanziell abhängig vom Unternehmen. Das ging mir, gerade zu Corona-Zeiten, sehr nahe. Unsere Überlegung war aber schon seit 2015, einen Strukturmix aus festangestellten und freien Mitarbeiter:innen zu erreichen und das Team nicht zu groß zu machen. Das funktioniert bislang sehr gut.
Ihr micromanaged nicht?
Elisa: Nein, wir sind mittlerweile so organisiert, dass wir nicht auf jede Veranstaltung gehen, weil wir unserem Team zu 1000 Prozent vertrauen können. Die Leute sind fit, sie wissen, worauf es uns ankommt. Davon zehren wir seit 2018, als wir das erste Mal Eltern wurden. Und davon zehren wir auch jetzt, mit unserem zweiten Kind. Klar ist es gut, wenn ich auch jetzt im Mutterschutz, mal vorbeischaue – man sollte nicht zu lange wegbleiben. Aber es ist auch in Ordnung so, das entlastet.
Times change: Womit seid ihr früher im Geschäft geblieben, womit heute?
Jan-Oliver: Wir sind heute etwas vorsichtiger mit der Anzahl der Veranstaltungen. Zwischendurch war es ausgewuchert, wir hatten 180 Shows im Jahr, vor Corona teils mehrere am selben Tag. Das machen wir nicht mehr. Wir haben ein paar Triebe abgeschnitten, auf 100 Shows reduziert, und fokussieren uns auf die wesentlichen. Es geht uns jetzt mehr darum, den Überblick zu behalten und gezielt nachzujustieren.
Warum?
Elisa: Ich habe das Gefühl, das Publikum ist anspruchsvoller und selektiver geworden. Das ist in der Kultur ohnehin gerade eine Entwicklung: Man geht nicht mehr unbedingt zu Newcomern, sondern bucht sich ein höherpreisiges Ticket für die Riesenshows und -konzerte, die bereits gut laufen. Wegen dieser Entwicklungen machen auch wir etwas weniger mittelgroße Veranstaltungen.


An welchen Stellschrauben dreht ihr noch?
Jan-Oliver: Wir haben Formate entwickelt, die teils viele Jahre reifen mussten. Eines davon ist heute unsere vielleicht wichtigste Jahresveranstaltung: Die KAMPF DER KÜNSTE Awards in der Elbphilharmonie. Wir bilden auch die Comedy-Szene mit unseren Shows ab. Mittlerweile sind einige Artists, die als Poetry Slammer begannen, Comedians geworden. Diese Entwicklung behalten wir im Blick und transferieren sie auf das Programm. Anfang des Jahres haben wir unseren ersten Poets of Colour-Slam im Ernst Deutsch Theater veranstaltet. Dafür hat Ken Yamamoto das Line-up für uns gebucht. Und wir veranstalten auch Gastspiele in Städten, wo es keine große aktive Szene gibt, darunter Stade, Lüneburg, Rostock und Stralsund.
Elisa: In Hamburg machen wir auch ganz klar Aufbauarbeit. Es reicht eben nicht, nur eine Riesenshow dahin zu setzen. Wir haben – das werden wir auch nicht aufgeben – offene Bühnen und bieten Workshops.
Woraus schöpft ihr Inspiration für neue Formate? Was lässt euch generell immer weiter machen?
Jan-Oliver: Es ist dieser Moment, wenn man merkt, eine Veranstaltung funktioniert, alles fließt zusammen, das ist magisch. Man spürt die Euphorie in der Luft. Alle haben einfach eine sehr gute Zeit. Das Publikum, die Artists. Das ist mit nichts zu vergleichen.
Elisa: Wir hören auch nie auf, uns selbst in den Saal zu setzen. Also ich muss schon Fan von dem sein, was ich mache. Das habe ich mir immer gesagt: Wenn ich das nicht mehr interessant finde, da nicht mehr selber reingehen will, dann höre ich auf. Und das fragen mich wirklich viele: „Wird es dir nicht langweilig? Ist doch irgendwie immer das Gleiche.“
Ist das so?
Elisa: Natürlich lebt Poetry Slam davon, dass es sehr schnell den Zeitgeist aufgreift, die Texte sind immer anders, aber auch meine Fähigkeiten und mein Blick verändern sich. Dadurch bleibt es auf jeden Fall spannend.
Jan-Oliver: Es ist, wie einen Bundesligaspieler zu fragen: „Wird dir nicht langweilig, da jeden Samstag aufzulaufen?“. Nein, denn es gibt immer eine neue Herausforderung und jeder Abend hat seine ganz eigene Dynamik.

Welchen Mythos rund um KAMPF DER KÜNSTE möchtet ihr heute noch aufdecken?
Elisa: Viele Slammer, die zu uns nach Hamburg kommen, sagen: „Bei euch ist es ja eh immer ausverkauft.“ Aber es fliegt uns nicht zu. Oft sieht man die Arbeit, die hinter einer Veranstaltung steckt, gar nicht. Welche Ideen durchgespielt, welche verworfen und welche Maßnahmen ergriffen wurden, damit unsere Veranstaltungen ausverkaufen.
Wie bewahrt ihr bei der Größe eurer Shows eigentlich die Seele eurer Slams?
Jan-Oliver: Wir haben uns fest vorgenommen, ein Ort zu sein, an dem sich alle wohl fühlen – hinter, auf und vor der Bühne. Hinter den Kulissen haben wir natürlich Einfluss darauf. Das überträgt sich im besten Fall auch über die Bühne ins Publikum. Für die Bühne wählen wir sehr gezielt Hosts mit einer humorvollen, herzlichen Ansprache. Sie bieten dem Publikum den Grad aus intelligentem Entertainment und Wärme.
Ihr habt Hamburg mittlerweile zur Slam-Hauptstadt gemacht, seid Europas größter Slam-Veranstalter. Wie behaltet ihr die Bodenhaftung?
Jan-Oliver: Es sind 10 Prozent Höhenflug und 90 Prozent Grind. Dass wir am Boden bleiben, liegt ein bisschen in unserer Natur. Wir sind nicht die Leute, die es auf die Bühne drängt. Wir sind die Leute, die Bock haben, anderen die Bühne zu bereiten. Vor allem sind wir Poetry Slam-Fans.
Weitere Infos zu Kampf der Künste findest du hier.
Text: Despina Borelidis
Fotos: © Francesca Amann