Als wir Greta Silver für ein Interview anfragen, ist sie auf der Viva Tech Paris. Mit 77 Jahren steht sie mitten im Innovationsgetümmel. Für sie nichts Außergewöhnliches. Greta Silver ist Grandpreneur: Mit 48 Jahren macht sie sich das erste Mal selbständig, mit 66 erneut – als YouTuber. Ihr Kanal hat mittlerweile mehr als fünf Millionen Klicks. Gründen im Alter? „Alternativlos.” Was ist so reizvoll daran?
Nach 17 Jahren als Mutter und Hausfrau hast Du Dich mit 48 Jahren erstmals als Innenausstatterin selbständig gemacht. Wie genau, Greta?
Ich bin da reingestolpert. Der Auftrag kam über eine Freundin: Ich sollte ein Großbüro umgestalten. Das gelang mir – ohne Ausbildung. Meine Konzepte gefielen, wurden von anderen Etagen kopiert. Es sprach sich rum: So folgten Aufträge für Hausboote, eine Ferienhausanlage, ein Hotel. Ich bin in die Projekte hineingesprungen, völlig ahnungslos.
War Nichtwissen ein Vorteil?
Ja, meine Vorstellungskraft war wichtiger. Das lernte ich erst später. Bei einem Projekt sagten Möbelhersteller über meine Entwürfe „Das geht nicht.” Ich fragte: „Wo trennen sich unsere Vorstellungen? Wo gehen wir den Weg gemeinsam?" Da holten sie ihre Meister aus der Werkstatt.
Wir saßen zusammen und stellten fest: Sie hatten die Grenzen im Kopf, denn sie hatten noch nie so etwas entwickelt. Wir fanden heraus, was dann doch alles möglich war. Das hat mich unglaublich mutig werden lassen! Erfahrung ist etwas ganz Wunderbares, aber neu denken, anders herangehen an etwas, was man noch nie zuvor gemacht hat, das ist kostbar.
Mut ist für mich, die Angst unter den Arm zu klemmen und es trotzdem zu tun. Ich will ausprobieren und dafür bin ich auch bereit, mir die Nase zu stoßen.
Andere würden sich ausbremsen lassen. Warum nicht Du?
Mir wurde oft gesagt, ich sei ganz schön mutig. Mut ist für mich, die Angst unter den Arm zu klemmen und es trotzdem zu tun. Mutig bin ich gar nicht so sehr, sondern neugierig: „Wie werde ich wohl fühlen, wenn ich es mache?”, frage ich mich. „Was wird in meinem Leben anders?"
Ich will ausprobieren. Das ist leben! Dafür bin ich auch bereit, mir die Nase zu stoßen. Man sollte sich reinschmeißen, sich weiterbilden. Das hält jung – im Kopf und im Herzen. Weiterbildung ist besser als Botox.
Dein Lebenslauf baut auf vielen Talenten auf: Innenausstattung, PR, Modeling, YouTuber, Bestseller-Autorin, Podcaster. Heute, mit 77, stehst Du auf Bühnen, Du bist eine beliebte Influencerin, berätst Wirtschaft und Politik.
Man sieht die eigenen Talente oft nicht und hält sie lange für selbstverständlich. So ist es aber nicht. Mein Antrieb war immer, nach mir und meinem Geschmack zu gehen. Ich entwickelte Zutrauen in meine Fähigkeiten und bekam Vertrauen zurück. Hinzu kam: Die Themen, die mich beispielsweise mit 66 Jahren sehr beschäftigten, waren da draußen viel diskutiert: darunter Alter, Diversität, Silver Economy.
Ich stellte fest: Wir Älteren sind der größte, der finanzstärkste Markt – und zwar nicht für Thrombosestrümpfe und Magnesium. Mit dem Klischee habe ich aufräumen können. Es sind 30 Jahre vom 60. bis 90. Lebensjahr. Die sind genauso lang wie vom 30. zum 60. In diesen 30 Jahren wird gekauft, da wird kreiert, da wird gegründet!
Was steckt noch hinter Deinem Erfolg?
Der Erfolg mag sichtbar sein, nicht aber das Wurzelwerk meiner Gründungen, wie erschöpfend es auch war. Ich war zeitweise die Alleinverdienerin der Familie – beide Kinder im Studium, das Haus nicht abbezahlt. Mit 66, als ich das erste YouTube-Video hochlud, waren mein Mann und ich frisch getrennt. Ich gründete dieses Mal aus einem Mangel heraus. Doch wenn ich mir rückblickend vorstelle, wir hätten damals genug Geld gehabt, um den anderen beim gemeinsamen Haus auszuzahlen, denke ich: Was wäre dann alles nicht passiert? Was in mir hätte ich alles gar nicht kennengelernt?
Erfahrung ist etwas ganz Wunderbares, aber neu denken, anders herangehen an etwas, was man noch nie zuvor gemacht hat, das ist kostbar.
Was macht das Gründen im Alter für Dich besonders reizvoll?
Es ist der ideale Zeitpunkt, denn die Rahmenbedingungen sind ganz andere: Im Alter ist man die facettenreichste Version seiner Selbst. Man begreift viel mehr vom Leben – es wird immer besser, immer weiter!
Man wird souveräner. Die Versagensängste sind kleiner. Es ist egal, was andere denken. Man hat weniger Stress, weniger Verantwortung – dafür mehr Fokus, mehr Zeit. Die Kinder sind erwachsen, das bringt Leichtigkeit und die braucht es, um kreativ zu sein, um Geschäftsideen auszuprobieren. Das war mir auch wichtiger als der Erfolg.
Mehr zu Greta Silver findest du auf zum Beispiel auf ihrem YouTube-Kanal.
Fotocredits: Lotta Laabs
Text von: Despina Borelidis