Als junge Klimaaktivistin hat sie sich von Kraftwerken abgeseilt, an Schienen gefesselt und nahm dafür Konflikte mit dem Gesetz in Kauf. Heute ist Varena Junge Entrepreneur und macht Geschäfte mit der Nachhaltigkeit. Und nicht nur sie. Nachhaltigkeit ist zum Kerngeschäft vieler Unternehmen geworden. Aber Moment: Ist es eigentlich ethisch korrekt, Geschäfte mit der Nachhaltigkeit zu machen? Varena Junge sagt entschieden ja. Warum? Ein Gespräch über Purpose und Profit.
Purpose und Profit: Geht das zusammen, Frau Junge?
Ganz klar, ja! Das muss es sogar.
Warum?
Wenn wir eine Zukunft wollen, in der Purpose wirklich ernsthaft Teil unserer substanziellen Ausrichtung wird – und nicht nur so ein Add-on – dann braucht es diese Kombination. Klimaschutz gehört auf die große Agenda. Und großer Impact entsteht nur aus der Kombination aus Purpose und Skalierbarkeit. Für Skalierung braucht es Kapital. Das ist aus meiner Sicht ein zentrales Thema in der Nachhaltigkeitsdebatte.
Für wie zukunftsfähig halten Sie denn Geschäftsmodelle, die Purpose und Profit verbinden?
Ich halte sie für sehr erfolgversprechend. Ein Beispiel: Pay-per-Use, finde ich, ist ein spannendes Geschäftsmodell. Von der Maschine bis zur Klamotte wird geliehen statt verkauft. Da steckt nicht nur Profit drin, sondern auch Shared Economy – und damit Nachhaltigkeitsziele. Selbst ein Fast-Fashion-Teil kann durch Shared Economy zum nachhaltigeren Kleidungsstück werden. Damit zeigen Purpose-und-Profit-Geschäftsmodelle, dass Wirtschaft anders geht – sogar besser geht. Es sind einfach keine Geschäftsmodelle, die man sich auf Zeit borgt. Die auf Ressourcen aufgebaut werden, die nicht bezahlt werden müssen und bei denen letztendlich die Gesellschaft die Kosten trägt. Also ja: Ich finde, nachhaltige Geschäftsmodelle tragen ihren Namen zu Recht.
Sie sind selbst Entrepreneur, haben sowohl im Energie- als auch Digitalsektor gegründet. Finden Sie es ethisch korrekt, mit Nachhaltigkeit Geschäfte zu machen?
Gegenfrage: Ist es ethisch korrekt, mit etwas Profit zu machen, was nicht nachhaltig ist? Mir stellen sich eher die Fragen: Wie kriegen wir noch mehr nachhaltige Geschäftsmodelle in noch kürzerer Zeit hin? Und wie schaffen wir es, letztendlich eine Wirtschaft aufzubauen, die Purpose und Profit in ihrer Tiefe miteinander verknüpft? Es sollte nicht länger bei Einzelfällen bleiben.
... und auch nicht länger die Frage nach der Ethik gestellt werden?
Ja, denn Ethik ist in diesem Zusammenhang ein häufig genutztes, aber haltloses Argument. Die Ethikfrage wird dann gestellt, um einen Keil zwischen diejenigen zu treiben, die mit Purpose Profit machen – ob sie es aus ideologischen oder rein aus Profitgründen tun. Sie werden dabei allesamt gleichermaßen diffamiert: auf der einen Seite die profitgierigen Realisten, auf der anderen die moralisierenden Ideologen. Das ist schlichtweg falsch. Deswegen wehre ich mich vehement gegen diese Argumentation.
So ganz von der Hand zu weisen ist die Ethikfrage nicht: Greenwashing ist ein fester Begriff in der Nachhaltigkeitsdebatte. Hier sorgen selbst die vermeintlich „Guten“ für Skandale.
Das stimmt. Sustainability ist in den letzten drei, vier Jahren zum Hype geworden. Und wie jeder Hype bringt auch dieser viele Trittbrettfahrer mit sich. Solche Skandale sind dann oft dankbares Futter für die Bestandsbewahrer. Denn die haben ihren Wohlstand wiederum auf einem alten System aufgebaut und wollen genau das erhalten. Greenwashing wird dann gern als Argument vorgeschoben, um es auch beim Alten zu belassen. Das darf nicht passieren. Dafür muss eine klare Differenzierung zwischen echtem Purpose und Greenwashing stattfinden. So schwer ist das gar nicht. Und zusätzlich sollte auch der Fokus auf funktionierenden Purpose-und-Profit-Unternehmen. Davon gibt es zum Glück immer mehr!
Warum haben Sie sich als Klimaaktivistin entschieden, Geschäfte mit der Nachhaltigkeit zu machen?
Mir war schon immer klar, dass ich einen Beitrag leisten will. Ich bin seit 18 Jahren Klimaaktivistin, war lange in einer NGO ehrenamtlich tätig. Als Aktivistin habe ich auf das Problem aufmerksam gemacht. Ich habe öffentlich protestiert und darauf hingewiesen, wie es sein müsste. Die Fortsetzung dessen und für mich die logische Folge waren, dass ich Lösungen entwickeln muss. Und ich habe festgestellt, dass mir das auch liegt. Es war also eine natürliche Entwicklung. Und zum Glück ist es auch ein sehr dankbares und spannendes Feld. Ich bin froh, dass ich damit einen Großteil meiner Zeit verbringen darf.
Und damit auch Ihren Lebensunterhalt verdienen.
Richtig.
Sie haben Umweltwissenschaften studiert mit BWL im Nebenfach. Wie haben Ihre Kommilitonen reagiert?
Waren Sie bei den einen „Die Öko“ und bei den anderen „The Evil“? Ja. „Wie kann man als Umweltaktivistin so ein rein Profit -getriebenes Nebenfach studieren?!“, hieß es wobei den Umweltwissenschaftlern. Aber für mich war schon früh klar: Klimaschutz können wir erst in großem Stil und mit hoher Geschwindigkeit erreichen, wenn er in der Wirtschaft passiert. In den Unternehmen. Die Bottom-Line bei den BWLern war eine andere als bei den Ökologen. Und vice versa. Ich saß oft zwischen den Stühlen. Aber ich konnte beide Perspektiven verstehen. Und sie auch einbringen.
Wann sitzen Sie heute noch ethisch zwischen den Stühlen?
Ganz klar im Alltag. Man weiß ja, welches Leben man bräuchte, um im Einklang mit dem Klimaschutz zu leben. Aber geht das überhaupt in einer deutschen Großstadt? Die Entscheidungen, die man trotz dieses Wissens auf einer tagtäglichen Basis trifft – das ist schon herausfordernd. Da nicht in die eigene moralische Geißelung zu verfallen, nicht den Optimismus zu verlieren, nicht in Eco-Anxiety und Apathie abzudriften, das fordert einem schon viel ab. Aber Handlungsstarre ist einfach das Letzte, was wir jetzt gebrauchen können.
Wovon brauchen und wünschen Sie sich mehr?
Ich wünsche mir mehr vom Mindset des Lernens. Das ist das Wertvollste. Ich frage mich, wie wir es schaffen können, konstruktiv und kreativ neue Wege zu finden. Sowohl in der Verwaltung als auch in der Politik, von der Wirtschaft bis in die kleinste Zelle hinein – in die Familien. Wenn wir uns mehr mit Innovation beschäftigen wollen, dann braucht es unweigerlich das Mindset des Ausprobierens und des Lernens. Denn letztendlich braucht unsere Zukunft ja Innovation. Lernen wollen heißt auch neugierig sein und sich offen damit zu beschäftigen, welche Alternativen zu alten Gewohnheiten und Glaubenssätzen möglich, ja nötig sind, damit wir mit und nicht gegen die Natur arbeiten.
Und dabei Geld verdienen.
Und dabei Geld verdienen – ganz genau.