Derzeit wird in Deutschland viel über Arbeitszeiten, Mehrarbeit und Überstunden geredet. Die einen meinen, wir müssen hierzulande viel mehr arbeiten. Das Land sei überarbeitet, meinen die anderen. Vielleicht stimmt ja beides, und ich frage mich: Warum reden wir so wenig über die Selbstständigkeit? Besonders für Frauen könnte mehr Selbstständigkeit die Lösung sein.
Derzeit wird in Deutschland viel über Arbeitszeiten, Mehrarbeit und Überstunden geredet. Die einen meinen, wir müssen hierzulande viel mehr arbeiten. Das Land sei überarbeitet, meinen die anderen. Vielleicht stimmt ja beides, und ich frage mich: Warum reden wir so wenig über die Selbstständigkeit? Besonders für Frauen könnte mehr Selbstständigkeit die Lösung sein.
Deutschland hat viele tolle Gründerinnen, besonders in den freien Berufen ist der Gründerinnenanteil mit fast 55 Prozent ziemlich hoch [1]. Wenn die Gründungslust der Freiberuflerinnen sich auf die Gründungsintensität von Frauen insgesamt übertragen ließe, hätten Frauen die Männer als Chefinnen gar überholt.
Leider machen die Freien Berufe nur einen Teil der Selbstständigkeit aus. Laut aktuellem Gründungsmonitor der KfW [2], sind die Zahlen der Existenzgründungen 2022 insgesamt zurückgegangen. Der Anteil von Frauen, die sich für die Selbstständigkeit entschieden haben, fiel von über 40 auf 37 Prozent. Auch die Zahl der Führungsfrauen im Mittelstand ging laut KfW um fast vier Prozentpunkte zurück [3]. Nachdem Frauen das Gründungsgeschehen in den Vorjahren stets stabilisiert haben, ist nun wieder ein Abwärtstrend sichtbar.
Erklärt wird ein Rückgang der Gründungstätigkeit regelmäßig mit dem guten Arbeitsmarkt. Auf deutsch: Weil es so viele tolle Jobs gibt, wird die Selbstständigkeit zur zweiten Wahl, bzw. wird gar gänzlich ausgeschlossen. Aber ist das wirklich eine gute Erklärung?
Denn besonders für Frauen funktioniert der klassische Arbeitsmarkt nicht unbedingt immer gut. Im Gegenteil: Auch die Besten, und auch gut ausgebildete Frauen, müssen Verdiensteinbußen und schwindende Karrierechancen in Kauf nehmen, sobald sie sich für die Familie entscheiden. Der „Gender-Pay-Gap” ist in Wirklichkeit ein Motherhood-Pay-Gap. Obwohl ich selbst keine Kinder habe, beschäftigt mich das.
Denn auch ohne eigene Kinder habe ich viel Erfahrung mit Care-Arbeit. Nicht nur kleine Kinder sind Familie, sondern auch, wie in meinem Fall, schwerstpflegebedürftige Angehörige. Meine Erfahrung ist, dass die Selbstständigkeit es überhaupt erst ermöglicht hat, für die Familie da sein zu können, ohne sich selbst zu vergessen oder eigene Ziele aufgeben zu müssen, wenn sich der Alltag ansonsten so viel um Krankheit, Pflege und das Ende des Lebens dreht. Eine Aufgabe, die kaum Selbstbestimmung zulässt, aber die zum Leben dazugehört und die sich ihren Raum nimmt. Ob man will oder nicht. Aber ich durfte in den Jahren auch lernen: Nichts holt besser immer wieder zurück in die eigene Gestaltungsmacht, als die berufliche Bestätigung und die Wertschätzung eigener Projekte.
Und auch Geld spielt dabei eine Rolle. Denn eigenes Geld bedeutet Unabhängigkeit. Natürlich ist die soziale Absicherung bei Familiengründung in der Festanstellung erstmal gelöst - aber ebenso klar ist, dass Frauen, wenn Kinder ins Spiel kommen, schwieriger zurück in die Vollzeit finden. Mit häufig negativen Auswirkungen auf Einkommen und Altersvorsorge. Und damit auch auf die persönliche Unabhängigkeit.
Der sehr hohe Anteil von Frauen in Teilzeit von fast 50 Prozent zeigt, dass der Vollzeitjob für jede zweite Frau nicht so wichtig ist, oder schlicht nicht funktioniert [3]. Statistisch und auch ganz praktisch führt das zu den großen Gehaltsunterschieden im Vergleich zu Männern (da liegt die Teilzeitquote bei nur 12,7 Prozent) und bedeutet immer auch weniger Chancen auf Vermögensaufbau durch einen Job.
Die Gründe für eine Teilzeitbeschäftigung sind laut Statistischem Bundesamt vielfältig [4]. Die Zahlen zeigen aber, dass fehlende Kinderbetreuung gar nicht der Hauptgrund für Teilzeitwünsche sein muss. Über die Hälfte der Frauen in Teilzeit geben weder kleine Kinder noch pflegebedürftige Angehörige als Grund für ihre Teilzeit an. Fakt ist schließlich auch, dass Mehr(erwerbs)arbeit in bestimmten Settings steuerlich nicht belohnt wird. Und wenn das Haushaltseinkommen auch so stimmt, werden Frauen es sich dreimal überlegen, wie sie ihre Zeit einteilen. Weniger Erwerbsarbeit ist oft eine individuelle und sehr bewusste Wahl, die es zu respektieren gilt.
Gleichzeitig finde ich es wichtig, dass die Debatte nicht dort stehen bleibt. Denn Arbeit muss kein „Job” sein. Es gibt auch die Möglichkeit, anders zu arbeiten.
Dass die fremdbestimmte Arbeitswelt für viele nicht passt, zeigt nicht nur die Teilzeitquote, sondern vor allem die hohen Krankenstände, das zur Normalität gewordene „Burnout-Gefühl” und die Ideenlosigkeit von Arbeitszeitreduzierungs-Debatten, die im Gegensatz zu unserem teuren Sozialstaat stehen, der nur durch Arbeit finanziert werden kann. Aus der Belastungs-Spirale kommt man aber nicht mit weniger Arbeit raus, sondern nur mit der richtigen. Es wird Zeit, dass wir anfangen, radikal selbst zu gestalten. Unternehmertum bedeutet, Lösungen zu finden - nicht nur für Kunden und die Gesellschaft, sondern auch für sich selbst. Zur Selbstständigkeit gehört eben auch, Lösungen für den eigenen Lebensentwurf zu gestalten .
Es ist falsch Arbeit und Leben gegeneinander auszuspielen. Echte Vereinbarkeit ohne auf Geld, anspruchsvolle Aufgaben, Unabhängigkeit und Aufstieg verzichten zu müssen, ist eine unternehmerische Chance.
Familie und beruflicher Erfolg lassen sich in der Selbstständigkeit und mit dem richtigen Geschäftskonzept nämlich heute häufig gut verbinden. Was in unserer Arbeitskultur jedoch nicht kultiviert wird, ist unternehmerisches Selbstbewusstsein. Und so fehlt vielen die Erfahrung, dass man als Selbstständige mit der ganz eigenen Regelung von Arbeitszeit, hohe Einkommen erzielen kann.
Warum ist das ein Zukunftsthema? Weil eine moderne Gesellschaft nicht ohne das Können und die Ideen von Führungsfrauen und Macherinnen auskommt. Laut Statistischem Bundesamt waren 2022 nur 28,9 Prozent der Führungskräfte Frauen [5]. Gründerinnen mit Beschäftigten kommen auf 26,5 Prozent. Da ist also noch ein großer Teil des Kuchens, den wir Frauen liegen lassen. Oder besser gesagt, viele Chancen, selbst einen ganz eigenen zu backen! Denn es geht ja gar nicht um irgendeinen CEO-Status in Unternehmen. Sondern um die Vielfalt, sich einzubringen. Wir können die Gestaltung von Arbeit und Wirtschaft nicht den Männern überlassen - genauso, wie die Care- und Familienarbeit nicht allein Frauensache sein muss.
Und das ist eine Chance, insbesondere für Frauen. An anderer Stelle schrieb ich mal: „Wenn viel mehr Frauen unternehmerisch mitmischen und Arbeit und Wirtschaft aktiv mitgestalten, Märkte erschließen und die „neue Arbeit" durch ihre Geschäftskonzepte, ihre Herangehensweise und ihre unternehmerischen Ideen prägen, würden wir viele Probleme des Landes auf einmal angehen [6]. Die Chance Altersarmut und finanzielle Abhängigkeiten zu bekämpfen, geringer Frauenerwerbsbeteiligung entgegenzutreten, schlechte Vereinbarkeit auflösen, mehr nachhaltige Geschäftskonzepte am Markt zu etablieren und eine neue Arbeitskultur zu prägen - um nur einige zu nennen. Frauen gründen anders - sie tun es nur zu selten.”
„Die echte „New Work" Bewegung (die es aus meiner Sicht immer noch gar nicht gibt), müsste unternehmerisch sein - und sie könnte weiblich sein” - Das möchte ich auch hier noch mal bekräftigen.
Die Wirtschaft ist der stärkste Hebel. Dafür muss man kein fast paced Startup gründen und auch keine 60 Stunde-Woche schieben. Aber wenn Frauen ihre Arbeit selbst in die Hand nehmen, kann eine bessere Vereinbarkeit, Unabhängigkeit und eine Arbeitswelt, die auch für Familien gut funktioniert, gestaltet werden.
Umso wichtiger ist es, dass mehr Vorbilder, wie durch die Lexware Initiative „Tell Your Story” sichtbar werden. Es gibt so viel Inspiration, zum Beispiel der Weg von Johanna Röh, Tischlermeisterin, die sich für Mutterschutzregelungen für Selbstständige und Frauen im Handwerk einsetzt. Die vielen ganz unterschiedlichen Gründungsgeschichten hier zeigen, es geht viel mehr, als die alte Arbeitswelt der Konformität uns anzubieten hat. Aber es braucht immer jemanden, der sich persönlich für das Neue zuständig macht.
Frauen, gründet! Keine neue Arbeitswelt, ohne Unternehmerinnen.